Es ist die Nacht vor Halloween!

By Fridolin Wirbelwind

Wie jedes Jahr sitzt er in seiner kleinen Wohnung. Auf seinem Tisch steht ein Weinglas, daneben liegen drei Zigarren und eine Kerze verbreitet dämmeriges Licht. So sitzt er seit einigen Jahren, es wurde zu einem Ritual für ihn.

Er ist alleine, noch.

Langsam entzündet er eine der Zigarren und schenkt sich sein erstes Glas Rotwein ein. Es ist ein sehr schwerer Wein. Fast tröpfelt er nur aus dem Flaschhals, fast so als wäre die Flüssigkeit pures Blut. In den schummerigen Strahlen der Kerze nimmt er einen kleinen Schluck, der seine Kehle wie dicker Sirup hinab läuft. Gemütlich lehnt er sich zurück, zieht ab und zu an seiner Zigarre, nimmt einen Schluck aus dem Weinglas und wartet was wohl in diesem Jahr geschehen wird.

Es geschehen nicht immer die gleichen Dinge. Manchmal erscheinen die Gestalten von Menschen die er einmal gekannt hat, aber schon lange tot sind. Einmal erschien ihm ein Henker aus dem alten London und in einem anderen Jahr traf er einen Seher aus dem alten Ägypten.

Er ist gespannt, was er wohl dieses Jahr zu sehen bekommen würde.

Es ist schon weit nach Mitternacht, als es an seiner Türe klopft. Da er sich denkt, dass es wohl ein neuer Gast wäre, schlurft er gemütlich los um zu öffnen. Als er die Türe geöffnet hat, sieht er jedoch nichts und niemand. Nur ein eiskalter Hauch umweht ihn. Er sieht noch einmal auf den Hausflur und als er nichts erkennen kann, dreht er sich um, schließt die Türe und setzt sich wieder an seinen Tisch. Die erste Zigarre ist schon zur Hälfte aufgeraucht und er muss sie erneut anstecken.

Nach einer Weile verspürt er wieder einen kalten Hauch und sein Weinglas zeigt spuren von Wassertropfen auf der Außenseite. Doch als er es berührt, ist es weder kalt noch klamm.

Er nimmt einen kleinen Schluck und auch der fühlt sich an wie noch vor wenigen Minuten.

Es dauert dieses Jahr wirklich lange, bis etwas geschieht.

Ziemlich verwundert, weshalb nichts passiert, schenkt er sich sein zweites Glas mit Wein voll. Wie jedes Jahr kommt es ihm so vor als ob die Flasche nicht leerer als werden würde als bis zur Hälfte, egal wie oft er sich sein Glas voll schenkt.

Plötzlich gehen alle Elektrogeräte an und aus, ganze drei Mal. Als dann wieder alles ausgeschaltet erscheint, erlischt die Kerze!

All das dauert nur etwa eine Minute. Gerade als er die Kerze wieder entflammen will, leuchtet sie wieder auf.

Im gleichen Moment, als die Flamme wieder auftaucht, meint er eine Hand auf seinem Arm zu spüren. Sie ist nicht wirklich da, und doch … läuft ihm eine Gänsehaut über den ganzen Körper.

Seine Wohnung riecht auf einmal nach Zimt und Tannennadeln, aber auch nach Schnee, mit etwas das ihn an einen Friedhof erinnert.

Die Hand, oder was er dafür hält, liegt noch immer auf seinem Arm, drückt ihn leicht und leise, ganz leise, vernimmt er eine Stimme.

Zuerst kann er sich nicht wirklich verstehen. Doch sie wird immer deutlicher. Nach und nach kann er zuerst einzelne Worte verstehen und nach einer Weile einen ganzen Satz.

Die Stimme hört sich an, als wenn sie durch einen alten Metalltrichter aus einem Keller kommen würde.

„Sie werden kommen, wenn du deine Pflicht nicht erfüllst! Alle die du kennst werden den Tag nicht überleben, solltest du die weigern!“

Auch wenn es ihm bei diesen Worten ziemlich seltsam zumute wird, nimmt er sich doch ein Herz und fragt in den Raum: „Was soll ich denn machen? Ich habe keine Ahnung was du von mir erwartest.“

Von unsichtbarer Hand, wird sein Weinglas wieder gefüllt und in seinem Kopf taucht eine andere Stimme auf. „Wir werden dich führen, aber sobald du aufgibst, ist das Schicksal erfüllt.“

„Mein Schicksal oder das der anderen?“ fragt er laut.

„Darüber darfst du gar nicht erst nachdenken. Gibst du auf ist es egal, denn dein Schicksal ist mit dem der anderen, auf dieser und deiner Seite verbunden. Und nun warte auf deine Aufgabe.“

Eine neue Zigarre flammt auf und aus der Kerze kommen nun auch noch verschiedene Gerüche. Einige erinnernihn an Weihrauch und eine Hochzeit, andere an Frühling oder die Heuernte.

Noch immer kann er seine Aufgabe nicht erkennen, also trinkt er weiter und raucht seine Zigarre.

Immer wenn sein Glas fast leer ist, füllt es sich von alleine wieder auf, und sobald er eine Zigarre geraucht hat, verschwindet der Stummel und er hat wieder drei vor sich liegen.

Es muss schon fast vier Uhr morgens sein, als er ein Klingeln hört, einmal, zweimal, dreimal.

Danach taucht auf seinem Tisch eine alte Schreibgarnitur auf. Mit Tinte, Feder und Pergament! Im selben Augenblick sieht er vor seinen Augen eine Frauengestalt. Sie ist mit Ketten gesellt und sitzt in einem Käfig aus Holzstangen.

Ohne dass es ihm bewusst ist, schreibt er mit der Feder alles auf, was er vor seinen Augen erblickt.

Die Frau ist etwa 25 Jahre alt, und irgendwie weiß er, dass sie eine Vorfahrin von im ist.

Sein Geist begibt sich in den Käfig zu der Frau und will sie fragen, was mit geschieht, doch sie kann ihn nicht verstehen, weil dies alles schon viele hundert Jahre her ist.

Aus dem Käfig heraus sieht er sich nun um. Dort stehen Schaulistige und bewerfen die Frau mit Rüben und fauligem Gemüse.

„Hängt die Hexe!“ „Auf den Scheiterhaufen!“ Und viele andere Sätze hört er. Und so langsam ahnt er was er aufschreiben soll. Die Geschichte seiner Urahnin, die im 17. Jahrhundert verbrannt wurde.

Fast meint er den Gestank selber riechen zu können, den ekelhaften Geruch von verfaultem Essen, Fäkalien und von Tieren die mitten in der Meute liefen.

Der Käfig wird von zwei Eseln gezogen, die nur langsam durch die Menge kommen.

Ganz vorne geht ein Priester, flankiert von vier Landsknechten mit Spießen. Dahinter trotten drei Mönche, welche etwas in Latein endlos wieder holen.

Als der ganze Zug endlich am Richtplatz ankommt, wird die Frau aus dem Käfig gezerrt. Einige Menschen, die nahe genug sind, reißen teile ihres Gewandes ab, so dass sie bald fast nackt der Menge präsentiert wird. Auf einem Balkon am Rathaus steht der Richter mit seinen Getreuen, dazu eine Abordnung von Klerikalen, die nun das Urteil verkünden werden.

Als der Richter die Leute zur Ruhe gemahnt und er endlich beginnen kann, hört der Mann folgende Worte:

„Auf wollen und geheis unseres Landesherren, wurde die Frau, mit Namen Ondina, unter Aufsicht des obersten Christenhirten einem peinlichen Verhör unterzogen.“

Als dies verlesen wird, sieht der Mann was der Frau angetan wurde.

„Zuerst wurden ihr die Daumenschrauben angelegt. Als sie noch immer nicht gestand, mit dem Teufel im Bunde zu sein und mit ihm gebuhlt zu haben, wurde sie nackt ausgezogen auf die Streckbank geschnallt; wobei ihr noch mit glühenden Eisen ein Kreuz in den Bauch gebrannt wurde. Da sie noch immer nicht geständig war, hat der Scharfrichter, mit der Genehmigung des Klerus, zuerst ihre Finger- und danach die Zehennägel ausgerissen. Sie betete dabei immer wieder, blasphemisch, das Vaterunser, und gab keine Verfehlung zu.

Demnach hat unser gütiger Landesherr, ihr einen schnellen Tod gewährt, da er und der Bischof im Aufsagen, des Vaterunser erkannt haben, dass sie noch nicht ganz verloren ist.

Somit wird diese Frau Heute auf dem Scheiterhaufen verbrannt, um ihre Seele zu reinigen und sie nicht auf immer im Fegefeuer

existieren muss.

Wer dieser armen Seele etwas gutes antun möchte, der kauft ihr eine Kerze und ein Gebet, wer dies nicht macht, steht im Verdacht ebenfalls eine Hexe oder ein Zauberer der dunklen Künste zu sein.

Da unser geliebter Landesherr sich gütig der armen Seele zeigen will, hat er beim Bischof 100 Kerzen entzünden lassen auf dass ihr 100 Leben in der Hölle erspart bleiben.

Ebenso hat er veranlasst, dass sich 50 seiner besten Bogenschützen bereithalten sollen, um der menschlichen Hexe nicht die totale Verbrennung zuzumuten. Nach einem Vaterunser, dürfen die Bogenschützen die Delinquetin gezielt vor dem Feuertod bewahren.“

Nun geschieht für den Mann etwas, mit dem er nicht gerechnet hat. Er findet sich im Körper der Frau wieder. Er fühlt ihre Angst, sieht die Menschen die sie hassen und ihren Tod fordern.

Er spürt wie die Frau mit ihren Ketten auf den Scheiterhaufen geführt wird. Sie ist so aufgeregt, dass sie nicht einmal bewusstlos werden kann.

Nun hört er den Richter noch etwas sagen:

„Da die Verurteilte keinerlei Vermögen besitzt, hat unser Landesherr beschlossen, den Bogenschützen sowie dem Scharfrichter aus eigner Tasche jeweils einen Taler zusätzlich zu geben, wenn sie die Delinquetin nicht übermäßig leiden lassen. Desweiteren wurde der Verurteilen erlaubt noch etwas zu sagen, ehe der Scheiterhaufen entzündet wird. Möge sie in Gottes Gnaden das ewige Licht erblicken.“

Auf einmal ist alles ruhig.

Die Stimme seiner Urahnin erklingt, und sie ist alles andere als unterwürfig.

„Ich Ondina, eine treue Frau habe niemals mit Beelzebub oder Satan Unzucht getrieben, auch kenne ich keine schwarzen Künste, oder Menschen die solches praktizieren. Ich vergebe meinem Landesherren, dem Klerus, allen die mich gefoltert haben und mich nun dem Tode anheim geben. Seid gesegnet von dem Gott dem wir alle unteran sind. Scharfrichter, walte Deines Amtes, und ihr Bogenschützen, habt Mitleid und trefft.“

Der Mann ist im Körper der Frau bis sie von den ersten Pfeilen getroffen wird. Als das Feuer endgültig auf sie übergreift stirbt sie gerade und er sieht ihre Seele in die Ewigkeit entschwinden.

Nun kommt er langsam in die Wirklichkeit zurück. Vor ihm liegt ein Stapel Pergamente, beschrieben mit Tinte und sauber sortiert. Nun erscheint ein Siegelring vor ihm mit Siegellack und er weiß was er zu tun hat.

Er faltet den Stabel zu einem kleinen Päckchen, versiegelt es und schreibt eine Adresse auf die Vorderseite.

Als er dies alles getan hat, erscheint ihm der Geist der Frau, sie streicht ihm über den Kopf, lächelt ihn an, und sagt dann:

„Vielen Dank, fast drei Jahrhunderte musste ich warten, nun bin ich frei und kann gehen. Aber halte dich bereit, es gibt noch mehr von uns, die keine Ruhe finden können. Vielleicht werden dich welche besuchen, aber habe keine Angst, sie wollen dir nichts antun, sie brauchen deine Hilfe.“

Also wird der Mann wohl jedes Jahr, in der Nacht vor Halloween, sich bereit machen. Vielleicht kann er noch so manchem Geist helfen.

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