Zeit

© By Fridolin Wirbelwind

Naja, nun hat er eine neue magische Zahl in seinem Alter erreicht.

Er ist nun so alt, dass es für eine Midlife-Krise schon zu spät ist.

Doch um sich alt zu fühlen, dafür fühlt er sich noch zu jung.

Allerdings, wenn er so nachdenkt, was er alles schon erlebt hat, dann könnte er auch schon 30 Jahre älter sein; aber dann denkt er daran was er noch so alles erleben möchte, und meint dass er gut auch 30 Jahre jünger sein könnte.

Aber egal, es ist eben so wie es ist. Einige Zipperlein plagen ich schon, aber wenn er so andere Männer in seinem Alter reden hört, dann ist ja fast noch fit, bis auf seinen Dachschaden.

Nein, er will sich nicht beklagen, auch wenn er schon bessere Zeiten gesehen hat.

Er wurde in Zeiten groß, als Fernseher und Telefon noch nicht für jeden erschwinglich waren.

Die ersten Fernseher waren noch unheimlich teuer, und es gab fast nirgends mehr als drei Programme, ausser man lebte in einem Grenzgebiet.

Wir Kinder gingen noch nach draußen um zu spielen, bauten Baumhäuser und bildeten Banden. Spielten Räuber und Gendarm oder Cowboy und Indianer. Nach Hause gingen wir, wenn die Strassenlaternen angingen.

Am Freitag kam Papa noch mit der Lohntüte Heim und am Sonntag gab es richtigen Kaffee und einen Braten. Unter der Woche tranken die Eltern noch Lindes und Caro, und zu essen gab es viele Eintöpfe oder Kartoffelgerichte.

Dann kamen die ersten Gastarbeiter in unsere Stadt. Das war aufregend, die Italiener aßen Nudeln mit vielen verschiedenen Soßen oder machten Pizza. Auch die Portugiesen und Türken haben keine kleinen Kinder gegessen.

Wir spielten zusammen und lernten was die neuen Kinder ausmachte.

Dann kamen wir in die Pubertät, da gab es dann die ersten Farbfernseher und wir bekamen unser erstes Telefon.

Aber immer noch hatten wir zwei Groschen in der Tasche um anrufen zu können, wenn etwas nicht in Ordnung war.

Mit 15 hatte ich dann mein erstes Mofa, selber erarbeitet mit dem Austragen von Bravo und TV.

Die ersten Teenie-Discos in der Kirche, einmal im Monat. Da war dann auch fast immer noch ein Betreuer aus der Jugendgruppe mit dabei, damit wir ja nichts ungehöriges anstellen sollten. Haben wir zwar trotzdem, tüdelü.

Dann musste ich in die Lehre gehen, war nicht so toll.

Mit 18 habe ich dann den Führerschein gemacht und war das dritte Mal so richtig verliebt.

Ja und ein Jahr später musste ich dann zum Bund.

War auch nicht so meines.

Mittlerweile hatte fast jeder Haushalt ein eigenes Telefon und für die Fernseher gab es kabellose Fernbedienungen, doch musste man für einige Sender immer noch ewig lange an der Zimmerantenne stehen und die einrichten, wollte man mehr sehen als Schneetreiben in Alaska.

Zu meinem 24. Geburtstag wurde mir dann verklickert, dass der Mann, der mich großgezogen hatte, gar nicht mein Papa war.

Zu der Zeit arbeitet ich schon viele Jahre als Hilfskellner in so einige Kneipen und Lokalen.

Einige Jahre später, habe ich dann in der Propaganda gearbeitet, nicht erfolglos, und meine Partnerin, mein Bubi und ich waren mit eine der ersten Personen, welche ein Handy hatten.

Nicht viel später kaufte ich dann den ersten Familien-

computer.

Dann ging es immer schneller, Handy-SMS-PC-Windows-Internet-Flatscreen-Smartphone und immer schneller und schneller.

Nun sitzen die Leute im Lokal vor ihren Smartphones unterhalten sich per Chat, dümpeln durch die Strassen mit dem Blick gesenkt, als wären sie verurteilte Straftäter oder Zombies.

In solchen Momenten ist er happy, dass er schon etwas älter ist.

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