© By Fridolin Wirbelwind
Bald wird er nun 60. Keine zwei Wochen mehr, dann ist es so weit. Wie es nun einmal so ist, lässt er in dieser Zeit sein Leben Revue passieren. Er wundert sich, an wieviel er sich noch erinnern kann. Sogar seine erste Erinnerung kann er noch abrufen.
Sein Leben war meist unstet, es erlebte Höhen und Tiefen, war ganz oben und auch ab und zu ganz weit unten. Er wurde geliebt und gehasst, verehrt und verunglimpft.
Es gab Zeiten in denen er geachtet wurde, egal ob als Partner, als Arbeitnehmer oder Arbeitgeber, aber genau so viele, in denen manche Menschen ihn verachtet haben.
Er hat die Kinder von anderen Männern wie seine eigenen angenommen, und immer versucht ihnen das Leben nahe zu bringen.
Kunst und Kultur liebt er noch Heute, auch Bibliotheken waren und sind stets ein Teil seines Lebens gewesen.
Fremde Länder und Kulturen kennt er aus eigener Anschuung, nicht als Tourist.
Ganz sicher hat er nicht immer alles richtig gemacht, aber auch seine Fehler gehörten eben zu seinem Leben dazu.
In den letzten Jahren hat er sich immer weiter von vielen Leuten entfernt, manchmal war er selber schuld, aber auch ab und zu die anderen Menschen.
Doch alle Schicksalsschläge haben ihn nie dazu verleitet, für seine Unglücke andere verantwortlich zu machen. Das Leben ist nun eben so, man kann einen Fehler nicht wieder ungeschehen zu machen, denn jeder hat nur einen Versuch, es ist keine Löschtaste dafür vorgesehen.
Aber so im Ganzen gesehen, hat er wenigstens versucht sein Bestes zu geben.
Auch kann er sich nicht davon freisprechen, dass er Vorurteile hat, die hat wohl ein jeder Mensch.
Viele Stunden, Woche, Monate und Jahre hat er damit verbracht sein eigenes Wissen zu erweitern. In seinem Bekanntenkreis gibt es Wissenschaftler und Politiker, Hilfsarbeiter und Künstler, arme und reiche Leute, Menschen die studiert haben und andere welche weder schreiben noch lesen können. Doch eines haben all diese Menschen gemeinsam, sie haben das Herz am rechten Fleck.
Sicherlich lebt, und lebte, er nicht in einer rosa-roten Welt. Er ist sich bewusst, dass alles immer noch verbessert werden kann, und muss.
Aber was ihm geblieben ist, er hadert nicht mit seinem Schicksal und besitzt ein gewisses Maß an Zufriedenheit.
Jeder Mensch, dem er in seinem Leben begegnet ist, trug dazu bei, dass er nun der Mensch ist, der mit Euch redet. Auf einige hätte er gerne verzichtet, doch auch die schlimmsten Vertreter des Homo Sapiens, konnten ihn etwas lehren. Manche dieser bösartigen Wesen, zeigten ihm immer wieder auf, dass er niemals so werden möchte und Hass und Zorn nur kontraproduktiv sein können, wenn man etwas zum Guten hin ändern möchte.
Sollte nun der Gevatter Tod an seine Türe klopfen, dann würde er sich nicht wehren, sondern nur um einen Aufschub bitten um sich von den besten Freunden verabschieden zu können.
Nein, er hat keine Angst vor dem Tod. Aber es wird ihm leidtun, dass er sovieles von seinem Wissen nicht mehr weiter geben können wird.
Er hat oft geliebt, und selten gehasst, wobei er sich nicht erinnern kann, ob und wann er überhaupt gehasst hat. Manche Menschen konnte und kann er einfach nicht verstehen.
Während er diese Zeilen schreibt, kommen ihm die vielen Mädchen und Frauen in den Sinn, die er einst geliebt hat. Manchmal sind diese Erinnerungen süß wie Zuckerwatte, ab und zu so ähnlich wie Zartbitter-Schokolade, wieder andere schmecken wie Lebertran.
Er kann immer noch die Welt geniessen, wie im Frühling die ersten Blüten auftauchen; im Sommer die Hitze alles still stehen lässt, weil es einfach zu heiß ist; im Herbst zu sehen, wie sich die Natur bunt färbt um sich auf den Winter vor zu bereiten; der Winter mit Eis und Schnee. Das Lachen eines Kindes, oder die nette Verkäuferin in einem Laden. Ein verliebtes Teenager-Pärchen, das die erste Liebe geniesst, oder das alte Paar, welches sich noch immer gerne an den Händen hält. Die Mutter, mit einem behinderten Kind, welche sich selber ganz weit hinter den Bedürfnissen des Kindes ansiedelt, oder – oder – oder.
Auch das Singen eines Vogels, das Eichhörnchen, welches sich in Pose setzt, als wüsste es, dass der alte Mann ein Foto machen möchte.
Es gibt soviele Dinge, welche er nicht vermissen möchte, zuviele um sie alle hier auf zuzählen.
Nun fragt sich vielleicht der eine oder andere Leser, was sich der alte Mann wohl wünschen könnte! Ehrlich gesagt, er weiß es nicht. Was er zum Leben braucht, das hat er ja.
Sicherlich hat auch er noch Träume, doch sind diese nicht sooo wichtig. Vielleicht ein paar Hüte, einen Zylinder oder eine Melone hätte er gerne, oder eine kleine Reise, die er aber aus Krankheitsgründen eh nicht mehr antreten könnte, oder vielleicht ein neues Fahrrad, sein altes würde er dann verschenken, auch eine gute Fotoausrüstung hätte er gerne, aber die kann er sich eben nicht leisten.
Ist er nun deswegen traurig? Nein, ist er nicht, das Leben, welches er lebt, hätten viele Millionen Menschen gerne. Vier Wände in denen er tun und lassen kann was er will, immer kaltes und warmes Wasser, im Winter eine Heizung, immer genug zu essen, auch wenn es ab und zu einige Rechenarbeit erfordert, keine Angst mitten in der Nacht von einer Regierungsbehörde abgeholt zu werden, weil er etwas gesagt oder geschrieben hat, nachts fallen keine Bomben und auf der Straße sind keine bewaffneten Marodeure unterwegs.
Also, er ist mit seinem Leben ziemlich zufrieden und würde sich wünschen, dass es mehr Menschen geben würde, die seine Einstellung teilen.